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Bildhauersymposion – Steine ohne Grenzen
Müsst’ ich meine Worte in Stein meißeln, so wäre meine Rede hier und heute wohl allzu kurz. Das Maulwerk ist kein Handwerk wie das des Steinmetzes. Die Sprache bevorteilt das Maulwerk – und die neuen Medien sind das ideale Feld ihrer Maulhelden.
Die bieten ihnen keinerlei Widerstand und ungehemmt – grobmotorisch – entleert sich äußerst bequem ein Jeglicher in aller Öffentlichkeit darauf. Eine Kanalisation als Errungenschaft der Zivilisation kennt dieses Feld nicht.
Nun schlecht, kehren wir denn zurück auf einen allgemeinen Zustand vor der Erkenntnis, dass die ungeklärten, hier sprachlichen Ausscheidungen der Ausbreitung von Seuchen Vorschub leisten – global!
Und die korrigierende Hand, das komplexeste Werkzeug, das die Evolution je geschaffen hat, gerät unter die Räder einer Technik, die alles aus dem Stehgreif, wie automatisch machbar erscheinen lässt. Nur war es die Freistellung von ihrer vormaligen automatischen Funktion des Vierbeiners, welche die folgende Entwicklung des Gehirns entscheidend beförderte, um so die Fähigkeiten des feinmotorischen „Händchens“ und seine Hand-lungen zu begleiten und zu gewährleisten.
Der bildende Künstler jedenfalls klärt sein Anliegen mit seiner Hand an seinem materiellen Gegenstand. Er klärt es im Vorhinein in der tätigen Auseinandersetzung mit ihm. Ein Prozess, ein Erkenntnis- oder meinethalben auch ein Reinigungsprozess in einem zuvor ungeklärten Verhältnis zu einem Gegenüber, dass sich seinem Gebrauch zu entziehen sucht. Es/er leistet Widerstand!
Wer wüsste das nicht als Künstler, wer wüsste das nicht besser als der Steinbildhauer, als der Erich Reischke?
Der Künstler klärt es an seinem Medium, dem Stein oder auch den Konturen und Farben auf einer Leinwand – mit sich selbst.
Der besagte Maulheld stellt seine ungeklärten, unreflektierten Ergüsse ins Netz und erwartet von diesem Medium eine Klärung – nicht einmal im Nachhinein, sondern nur eine Bestätigung und das von einer fiktiven, unscharfen Masse.
Das ist die eine Seite der Medaille. "Kunst", die Selbsterkennungs- und Selbstreinigungsprozedur an einem realen Gegenüber, die danach auch dieses Werkstück in einem veränderten Licht erscheinen lässt. Dessen Anschauung wird ebenfalls differenziert und mithin individualisiert.
Man ist ja der weit verbreiteten Meinung, dass sich mit seiner Arbeit vor allem der Künstler als Individuum profiliert! Dabei tritt dem Betrachter im Nachhinein objektiv weit stärker das Kunstobjekt selbst entgegen und weit weniger das Künstlerindividuum.
Ich bezeichne das hier als die zweite Seite der Medaille "Kunst", als das Kunstwerk in der Welt, das nunmehr auf sich gestellt eine ähnlich widerständige Auseinandersetzung mit einem Gegenüber sucht – und allzu oft nicht findet, auch weil es nicht redet und sich so auch nicht anbiedert.
Darüber kann gar keine Masse befinden und auch nicht angesprochen sein, sondern als eine Art Handreichung nur ein nächstes menschliches Individuum. Als Objekt der Masse wie als Massenobjekt ist es nicht allein untauglich, sondern es kehrte zum ungeklärten Zustand vor seiner Individualisierung durch seinen Urheber zurück: ein Stein wie jeder andere Stein, schwere Masse.
Das ist in Wahrheit jetzt das Problem des Kunstobjektes, denn objektiv ist und bleibt es Stein – ohne Funktion. Auf dieser Objektivierung beruht unser gesamtes, als kausal verstandenes und gepriesenes Weltbild – kreiert von der Wissenschaft.
Und diese formidable, funktionale wissenschaftliche Ideenwelt beweist ihre Qualität und Kreativität an der Masse, an der Quantifikation dieser Ideen in Form technischer Objekte, die ebenso ein Gegenüber suchen – und allzu oft finden, weil die materiell tatsächlich etwas bewegen und bewirken, etwas verändern, sprich sie funktionieren.
Nicht allein, dass sie sich zumeist selbst bewegen – Ursache menschlicher Erfindergeist – , nicht allein dass ihre Bewegtheit einen nächsten Gegenstand in Bewegung versetzt und verändert – ihre zielgerichtete Wirkung – sondern sie verändern vor allem den überkommenen organischen Bewegungsstatus des Menschen und sie binden jeden von ihnen – von uns, sie, mich – in ihr rein auf die Masse und deren Bewegung abzielenden Kontext ein. Sie sind mit anderen Worten zwar materiell effizienter als wir, ihre Urheber, können jedoch diese ihre Effizienz nur mit ihrer Masse und mit Hilfe der Masse, mit uns, erreichen. Mit noch ganz anderen Worten: Das technische Objekt formt erst die Individuen zur Masse, schaltet sie gleich, während das künstlerische Objekt sie weiterhin als selbsttätige Individuen „anspricht“.
Die Technik und mit ihr die Masse kennt keine Grenze: je mehr, je größer, je schneller – desto besser. Für die Formulierung eines Kunstwerks wie für seine Rezeption ist diese Entgrenzung absolut ungeeignet. Das Problem der Kunst ist im Gegenteil die Gestaltgrenze – formale Effizienz geheißen.
Mit der Technik wird der innere und so durch die Gestalt begrenzte Energiezustand auf einen äußeren, eben entgrenzten Zustand übertragen. Der hat – wie auch ohne Begrenzung? – keine Energie aus sich heraus, sondern muss erst von außen in Betrieb gesetzt und in Betrieb gehalten werden. Da kommen sich zwei unterschiedliche Betriebssysteme ins Gehege – und sind doch auf einander angewiesen. Beide kreisen um ein und dasselbe materielle Bezugssystem in dessen Mittelpunkt wiederum der Mensch als sein ureigener Schöpfer steht: ein geschlossener Teufelskreis – und die Kunst steckt irgendwo dazwischen.
Mit der Natur, der ewig Werdenden und ewig Vergehenden, hat das Kunstwerk insofern wenig zu tun. Da ist die Parallele der Technik zur Natur weitaus stärker, liegt sie doch gleichsam im Wettstreit mit ihr, wenn sie mittlerweile ihrem periodischen Veränderungs- und Vermehrungswahn kaum noch hinterherkommt. Folgte denn die Kunst dieser materiell beschleunigten Bewegtheit, würde sie genauso schnell verschlissen. Und erliegt nunmehr der Mensch dem Wahn der funktionalen Gleichschaltung mit der beschleunigten Masse, um ja nicht den Anschluss zu verlieren, so begibt er sich seiner elementaren Verfasstheit, in der die Kunst geradezu das virtuelle, spirituelle Gegenteil der materiellen Vergänglichkeit repräsentiert: ewige Gegenwärtigkeit nämlich, um die die aufgeregte, nie zur Ruhe kommende Natur im Verein heute mit der Technik kreisen.
Weit entfernt von jeder Zweckhaftigkeit und Zweckgebundenheit der beiden Kontrahenten "Natur und Technik"
dämmert das Kunstwerk melancholisch vor sich hin. Es hat keine zielgerichtete Wirkung – , es hat... einfach... Zeit, alle Zeit der Welt. Seine Funktion ist, keine Funktion zu haben.
Es steht für sich, frei von Gebrauch und damit auch von Abnutzung, ein unabhängiges, unveränderbares Wesen, wie derjenige, der es als sein Geschöpf in die Welt gestellt hat – nur dass der vergänglich ist.
Und erst wenn es die Befreiung von jedwedem materiellen Zugriff, jeglicher Instrumentalisierung erreicht, ist es das erwachsene, eigenständige Kunstwerk.
– Das braucht Zeit! –
Wobei, das ist ein realer zeitlicher Prozess, der auf beiden Seiten ohne das Individuum nicht auskommt. Im Gegenteil nimmt die Kunst Es in die Verantwortung für die fundamentale Ewigkeit, die der Technik als dem anderen Produkt menschlichen Geistes genauso wenig gegeben ist, wie dem Menschen selbst. Beide vereint ihre Vergänglichkeit.
Walter Benjamin beschriebt diesen spezifischen Wachstumsprozess als Auratisierung, die das Kunstwerk mit der Zeit und mit seinem Gegenüber erwirbt und so erst unsterblich macht. Diese undurchdringliche Aura ist selbstredend immateriell und überlebt jede materielle Neuerung. Der Seinszustand des Kunstwerks ruht in sich selbst, es verharrt in sich selbst – mit jeder Zustandsänderung seiner Umgebung oder auch gegen sie.
Die Kunst ist so Begleiter in allen Lebenslagen und kennt nicht nur die eine Funktion, für die ein technisches Objekt geschaffen wird: Ein Messer schneidert, ein Rasierapparat rasiert! Es wäre schlecht bestellt um sie, spiegelte sie nur wie die Technik die eine Funktion wider und nicht das Leben, das Erleben und Erlebte.
Bezeichnenderweise reflektiert sie meist sehr viel besser die Wirklichkeit und ihre Zukünftigkeit als jede wissenschaftliche Weissagung, die genauso schnell ihre Voraussagen revidieren muss, wie der Tag zur Nacht wechselt. Das liegt gewiss daran, dass die Kunst einen Pakt mit der Nacht, mit dem Teufel eingeht und auch die dunklen Seiten des Lebens und der Technik zeigt, den langen Schatten, den beide auf die Zukunft werfen.
Dass diese ihre Position der Trägheit, wie ich es als physikalischen Terminus nennen muss, nicht für das Gleichgewicht aller sonstigen unaufhörlichen Bewegtheit ausschlaggebend oder gar verantwortlich sein soll, halte ich sogar technisch, sogar physikalisch für ausgeschlossen. Nur dichtet die Naturwissenschaft der Masse selbst diese Trägheit an – Voraussetzung all ihrer klugen Rechenmodelle, vor allem der Relativitätstheorie.
Ganz im Gegenteil ist die unverkennbare maßlose Beschleunigung der schweren Masse auf diesen trägen Bezugspunkt außerhalb von ihr angewiesen. Verlege ich ihn, wie es allenthalben üblich ist, in die Masse – der Technik – , so werden wir emotionell, intellektuell wie aktuell materiell tangential zum Kreis in gerader Linie von der Erde fortgetragen – physikalisch!
Dazu sei für die private Seite nur angemerkt, dass es genauso vergeblich ist, diesen elementaren zeitlosen Bezugspunkt in uns selbst zu suchen. Es bedarf des Nächsten, des antipodischen Gegenübers, des Austauschs mit ihm oder besser einmal mehr, der Wechselbeziehung in der Weise eines magnetischen Dipols, wie ihn die Erde aktiv betreibt. „Wir haben“, so der große Einstein, "nicht die geringste Spur einer Erklärung dafür, dass die Erde ein gewaltiger magnetische Dipol ist." Keine Klärung von dieser Seite ist für mich Erklärung von meiner Seite, obwohl es Ihnen, verehrte Zuhörer, genauso wie Herrn Einstein gehen wird und Sie den Zusammenhang nicht unbedingt verstehen werden. Für Einstein wie für Sie ist das eben nicht kausal, verbindet er doch nicht Ursache und Wirkung. Aber seit wann ist Kunst kausal?
Und gehört doch zu Wirklichkeit des Menschen, genauso wie der magnetische Dipol zur Wirklichkeit der Erde
gehört.
Kausal ist es auch nicht, wenn ich als Nächstes hier für die Kunst ein Opfer anmahne, um ihren spirituellen Wert physisch begreifbar zu machen. Sie bedarf eines Opfers ihres Gegenübers! Eigentlich braucht es nur ein Zeit-Opfer, des Innehaltens, der Sammlung für den Austausch innerer Energie, denn das Kunstwerk hat als ästhetischer Gegenstand nur seinen inneren Energie – oder Spannungszustand anzudienen. Mit dem berüchtigtem Geschmack hat das herzlich wenig zu tun. Geschmack ist ganz einfach keine Kategorie der Energie. Da wiegt die Kategorie „Geld“ schon schwerer, könnte es denn entscheiden zwischen einer Wechselbeziehung und einer Wechselwirkung, zwischen spirituellem Opfer und materiellem Gewinn.
So gibt es , so gab es diese Wechselbeziehung zwischen der Kunst und der Technik, als einstmaligem Schwesternpaar des griechischen Weltverständnisses, aber sie wird zugunsten der Technik nicht mehr bemüht. Alles und jedes ist auf kausale Wechselwirkung, auf materielles Wachstum, auf Funktionalität abgestellt, die alle drei einzig Energie entwerten, die der Natur im Algemeinen wie die des Menschen im Besonderen.
Und nichts und niemand lädt die Batterien wieder auf!
Ganz im Gegenteil wird nunmehr auch die Kunst in diesen Verwertungskreislauf eingespeist, um wie der technische Müll auf demselben Felde zu landen, das jetzt noch die ungeklärten sprachlichen Exkremente aufzunehmen hat.
Ich bleibe, symbolisch, bei meinem Opfer und fange hier klein an. Ich lege zwei meiner schönen noch handgeschmiedeten Nägel zu den Skulpturen meines Freundes Erich Reischke. Der Malerei opfere ich zwei Tränen der Kiefer, Harztränen, Bernstein – mit der Zeit von Jahrmillionen. Mögen sie ihnen, mein frommer Wunsch, ewige Gegenwärtigkeit verleihen.
Ich verstehe diese rituelle Handlung als poetischen Akt zur Auffrischung ihrer inneren Kräfte, zu welchen der Künstler den doppelbödigen Grundstein gelegt hat. Sagte ich anstelle des doppelbödigen, doppelsträngigen Steines Seele, so bekräftigte sie vielleicht deutlicher meine Intention, die Werke der Kunst in die traditionsreiche Sphäre zu rücken, in der sie real auch tätig sind. Und wenn mein ganzes Gerede vorher allzu techniklastig war, so bitte ich zu bedenken, dass wir in der von ihr und der Wissenschaft geprägten Welt leben, sie aber nicht wirklich kennen, nicht wissen, in welchem Pferch sie uns, unbewusst wie eine Herde Schafe, zu Nutz und Frommen derer Ideenwelt gesperrt haben – im übrigen eine alte, christliche Metapher: das Schaf und das Opfer, als Opfer.
Ich habe nun lang genug um Erichs Skulpturen herumgeredet! Abgesehen davon, dass es die wohl kaum störte, mochte ich ihr stilles Geheimnis auch gar nicht entbergen. Der fromme Wunsch und das Nagelopfer sollten es eher noch verstärken, ihre Aura festigen. Nichts in der Kunst ist nicht Abstraktion und mit ihr das Gegenteil der Transparenz, welche die Wissenschaft vorantreibt, um alle Geheimnisse so ins rechte Licht zu rücken, als gäbe es keinen Schatten. Die Skulptur und die Plastik lebt von Licht und Schatten, von unten und oben, von vorn und hinten – in Wechselbeziehung, will sagen im Wechsel. Alles andere ist langweilig und hat keine Spannung. In Erfahrung bringen jedoch kann das nur jeder selbst. Das Wort – und Geldgeklingel ist dabei eher hinderlich.
Schluss, Ende – the end of a never ending story.
Bernd-Heiner Berge
2012 © Stiftung für Bildhauerei • verantwortlich: B. H. Berge